Die Rückkehr nach Deutschland

Die letzten Tage vergingen rasend schnell. Ich hatte noch einige Punkte auf meiner Liste stehen, die abgearbeitet werden sollten - dazu gehörte das Abschlusszeugnis, die deutsche Übersetzung von selbigem, meine Dank-Karten für die Lehrer zu Ende malen und einen schönen Text hineinschreiben. Außerdem erklärte sich keine Familie bereit, die Franziska (meine Nachfolgerin) aus Bariloche abholen konnte, da am gleichen Tag ein großes Event der Schule anstand. So  nahm ich selbstverständlich die Aufgabe an. 


Nach und nach wurden es immer weniger Punkte auf der Liste und die Zeit bis zum endgültigen Abschied rückte unaufhörlich immer näher. 

Die Dank-Karten gab ich am Donnerstag in der letzten Lehrerkonferenz allen Lehrern. Die Freude war groß und auch ich freute mich über die strahlenden Gesichter. 


Die ersten Abschiede kamen - einer der mir in Erinnerung bleiben wird, ist der Vermieter Fernando. Er ist ein etwas älterer Herr, überschwänglich in seiner Art und hat mit mir zusammen manchmal ein paar neue deutsche Wörter gelernt. Wir hatten viel Spaß miteinander. Am Mittwoch fuhr ich mit dem Bus zurück zu meiner Gastfamilie, als ich ihn zuvor beim Blumengießen antraf. 

Ich ging auf ihn zu und er sagte wie immer „gutten dag!“ in seinem argentinischen Akzent. Er fragte mich, wann ich gehen würde und als ich im sagte, dass es schon die darauffolgende Woche sein würde, nahm er meine Hand und küsste sie. Und nochmal, während er sagte: ”¡te quiero!“ (ich liebe dich) und ”ich will nicht, dass du schon gehst!“


Am Mittwoch fing auch Mia (Viertklässlerin) an, täglich nach der Schule hoch ins Sekretariat zu kommen und mich zu umarmen und zu sagen, dass ich nicht gehen solle, dass ich einfach noch länger da bleiben solle. 


Die letzten zwei Stunden Zeichenunterricht in der 5./6. Klasse begleitete ich wie gewohnt auf dem Klavier. Als Manuel (Maestro) ihnen sagte, dass es nun das letzte Mal sein würde, bekam ich einen riesigen Applaus und alle umarmten mich.


Freitag machten wir mit der ganzen Schule ein Foto für mich. Die Sonne schien und wir stellten uns alle in Reihen auf. 

Der Schulvater, der das Foto schoss, sagte zu mir: „Du bist der Stern auf dem Foto!“

Als wir das letzte Foto machten, riefen alle ”¡Gracias, Alva!“ - ich lächelte.


Die letzte Zeit bin ich bei meiner Arbeit und im Umgang mit den Kindern wahnsinnig sicher geworden. Ich wusste nun, wie ich mit wem umgehen und auch wie ich sie perfekt in die Arbeiten einbinden konnte. 


Am Sonntag holte ich im Bus Franziska vom Flughafen in Bariloche ab. Ich freute mich wahnsinnig darauf und war total gespannt, wie sie wohl sein würde. 


Franziska ist drei Jahre jünger als ich und ich finde es super mutig von ihr. Ich finde es inzwischen von jedem wahnsinnig mutig, der sich traut, sich in etwas ganz Fremdes hineinzubegeben. 


Ich empfing Franziska und die ganze Busfahrt über stellte sie mir entweder Fragen oder ich erzählte ihr, was es über die Einsatzstelle zu erzählen gab. 

Ich sah, wie fremd alles für sie war, was für mich inzwischen normal geworden ist, obwohl ich vor einem Jahr sicher nicht anders ausgeschaut habe. 

Franziska ist mir sehr sympathisch und ich denke, sie wird sich gut einfinden und einen tollen Job machen. 


In El Bolsón zog sie zu ihrer Gastfamilie und ich fuhr mit meiner Gastfamilie zurück, die noch im Ort auf dem Konzert gewesen waren, das von der Schule organisiert wurde. 


Am Abend stellten wir fest, dass es mein letztes Abendessen in El Bolsón war. 


Die Nacht zum Montag schlief ich sehr unruhig. Ich wollte irgendwie nicht, dass dieser Tag kam. Doch Zeit kann man nicht anhalten und so musste ich an diesem Tag sehr viele lieb gewonnene Menschen der Schule verabschieden. Kinder, Eltern und natürlich die Lehrer und Franziska. Ich bekam viele kleine gemalte Bilder, selbstgeschriebene Texte und gute Wünsche mit auf meinen weiteren Weg. 


Mit Noelia und Maria aß ich im Kindergarten noch ein Mittagessen, bevor mich Loana zum Terminal fuhr und ich meine erste Etappe nach Bariloche antrat. 


Ich winkte Loana aus dem Bus noch zu, bevor auch sie verschwand. 

Im Bus schlief ich und in Bariloche fuhr ich zu meinem Hostel, um mich direkt wieder auf dem Weg hinunter an den See zu machen.


Hohe Wellen schlugen ans Ufer. Es wehte ein kräftiger Wind und Gischt wehte davon. Gleichzeitig verfärbte sich der Himmel in warme Rot- und Gelbtöne. 

In einem Café trank ich meinen letzten Submarino und ging dann zurück ins Hostel.


Kurze Zeit später fiel mir mit Schrecken auf, dass ich meinen Laptop im Bus vergessen hatte. Ich konnte nicht fassen, dass es tatsächlich passiert war. In der Tasche waren zusätzlich sämtliche Abschiedskarten. Ich schrieb mit Loana und rief noch beim Terminal an, doch es war schon zu spät am Abend.


In der Nacht schlief ich sehr unruhig und am Dienstagmorgen stand ich hellwach um 6 Uhr auf. 

Ein verschlafener Hostelmitarbeiter rief mir ein Taxi und weiter ging es nochmal zum Terminal. Der Fahrer war so nett und wartete auf mich, während ich bei der Busgesellschaft nachfragte, ob eine blaue Stofftasche gefunden worden wäre. Weitere 15 Minuten musst ich auf eine Antwort warten. 


Niemand hatte bisher die Tasche gefunden.


Ich gab der Frau am Schalter die Kontaktdaten von Loana, sodass die Tasche nach Bolsón geschickt werden konnte, falls sie gefunden werden sollte.


In Bariloche gab ich meinen Koffer auf und frühstückte erst einmal. Mir war schlecht vor Aufregung.


Der Sonnenaufgang war wunderschön. Hellrosa wurden die schneebedeckten Berge angeleuchtet. 


Etwas später stieg ich in mein Flugzeug.

Als es in die Luft abhob, musste ich weinen. Nun war das Jahr wirklich vorbei. Ein Jahr voller Erlebnisse und Erfahrungen, die ich sehr zu schätzen weiß. Ich lasse Menschen zurück, die ich sehr in mein Herz geschlossen habe. Und nicht zuletzt lasse ich eine so unberührte Natur zurück, wie ich sie noch nie kennengelernt habe.


Wohlbehalten kam ich in Buenos Aires an und bekam die Nachricht von Loana, dass meine Tasche tatsächlich aufgetaucht war und Loana sie noch am Mittag in Bolsón in Empfang nehmen würde. 

Glück gehabt... 

Wenig später, schickte mir Loana ein Foto mit der Tasche und dann endlich fiel die Anspannung erstmal ab. 

Der Flughafenwechsel klappte reibungslos, sodass ich noch ordentlich Zeit am internationalen Flughafen hatte. 


Ich aß mein Mittagessen, schrieb mit Leuten aus Deutschland und lernte am Ende eine ältere Frau kennen, die nach Italien reisen würde. Sie sagte, dass ich total hübsch aussehen würde und zeigte mir Fotos von ihrer Enkeltochter, die schon an verschiedenen Orten der Welt gewesen war. 


Und dann verließ ich Argentinien. 


Ich stieg in das riesige Flugzeug von Lufthansa und sah, wie nach und nach das Land verschwand, in dem ich ein Jahr gelebt hatte. Das ich bereist hatte und in dem ich neue Freunde gefunden hatte. 

Ich machte Fotos und dann begann ich mich wirklich auf Deutschland zu freuen.


Noch immer sind es gemischte Gefühle. Wie wird es wohl sein, wieder deutsch zu hören und mit allen zu sprechen? All die Schilder auf der Muttersprache zu lesen? Was wird sich verändert haben in der Zeit, in der ich mich selbst verändert habe? 

Und wie ist es, wieder in einer zwar bekannten, aber jetzt ganz anderen Kultur wieder zu leben? 

Wie wird sich meine Perspektive verändert haben - auf ganz alltägliche Dinge in Deutschland, die in Argentinien eben nicht alltäglich sind?


Ich werde es die nächste Zeit herausfinden...



Als ich in Frankfurt am 15.08. aus dem Flugzeug stieg, betrat ich diese bekannte Welt und schaute sie doch mit ganz anderen Augen an. 

Es war tatsächlich komisch, alles auf deutsch zu lesen und die Menschen um einen herum deutsch sprechen zu hören. 

Manche warfen mir Blicke zu, weil ich mit so vielen Wollsachen herumlief. Ich schaute aber mindestens genauso verstohlen auf all die braun gebrannten Menschen, die so groß waren, teilweise so dünn und ganz anders sich verhielten, als es die Menschen in Argentinien taten. 


Als ich dann im letzten Flugzeug nach Hamburg saß, begann ich aufgeregt zu werden. Ich freute mich so sehr, auf meine Familie und meine Freunde.


Als dann endlich mein Koffer bei mir war, trat ich in die Ankunftshalle und dann lag ich zuerst meiner Mutter in den Armen, dann meiner Schwester, die ich ein ganzes Jahr nicht gesehen hatte und dann meinem Vater. Die Freudentränen liefen über mein Gesicht, als ich auch Fanny und Lara und Jolandas Freund Phil umarmte. Ich bekam drei große, schöne Sonnenblumen zum Empfang. Und dann betrat ich wieder meine Heimat. Ich trat in das Leben, das ich für ein Jahr zurückgelassen hatte und ich war glücklich. 


So schön grün sah es hier aus. So ordentlich und so wenige Schlaglöcher waren auf den Straßen... 


In Kaltenkirchen aß ich mit meinen Liebsten zusammen Mittagessen. Etwas später kam Larissa, meine beste Freundin dazu. Und am Abend gingen wir zu neunt - mit Thomas und Hedy (ehemalige Tagesoma, die wie eine richtige dritte Oma ist) in Kisdorf essen. Es war so schön, alle auf einmal wieder zusammen zu haben. 


Ich bin nun dabei, all die Dinge zu machen, die ich ein ganzes Jahr nicht tun konnte. Und es fühlt sich gut an! Ich freue mich auf die nächsten Tage und möchte mich nun bei euch fleißigen Lesern bedanken! 


Eure Kommentare und E-Mails haben mir sehr geholfen und mich darin bestärkt, meinen Freiwilligendienst durchzuziehen. Es war nicht immer einfach, aber ich habe es geschafft, aus allem etwas Positives mitzunehmen. 


Genießt den Spätsommer und ich werde hier wieder berichten, wenn das Rückkehrerseminar stattfindet. Alles Gute und ein großes Dankeschön auch nochmal an die fleißigen Spender, die dieses Projekt ermöglicht haben!


Eure Alva



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