Rückblick auf ein Jahr Freiwilligendienst in Argentinien

Was hat das Jahr mit mir gemacht? Welche Erfahrungen habe ich gesammelt? Wie sehe ich Argentinien heute? Und wie geht es danach weiter?


Es ist August. Der Monat, in dem ich vor einem Jahr nicht glauben konnte, den Schritt nach Argentinien gewagt zu haben. Der Monat, in dem das Abenteuer Realität wurde und nicht mehr nur reine Vorstellung war. Der Monat, wo ich Abschied nahm und all meine Liebsten (mit drei Ausnahmen) für ein Jahr nicht sehen würde. 


Was ist das eigentlich - ein Jahr?

365 Tage sind verdammt lang. Das würde ich auch im Nachhinein so bestätigen, doch die Tage, Wochen und Monate scheinen dagegen rasend schnell zu vergehen. Jeden Tag passiert mehr oder weniger etwas ganz Neues. Man ist viel damit beschäftigt, das zu verarbeiten, was neu für einen ist - und das ist am Anfang einfach alles. Nichts ist bekannt - die Sprache, die Umgebung, die Menschen. Die Sonne geht von Osten über Norden nach Westen. Alle sprechen spanisch, man liest überall spanisch, man hört nur spanisch, man muss selber auf einmal diese doch ganz fremde Sprache sprechen, um überhaupt zurecht zu kommen. Ständig ist das Gehirn damit beschäftigt, so gut es geht, das Gehörte zu übersetzen. Am Abend merkt man dann, wie anstrengend das ist, wenn man einfach irgendwann abschaltet. 


Ich habe neue Menschen kennengelernt - so viele wie noch nie auf einmal. Ich habe neue Freunde gefunden, mit denen ich mich auch in Deutschland noch treffen kann. 

Der Austausch des Erlebten unter Freiwilligen hat mir wahnsinnig viel geholfen. Immer wieder sind ganz neue Perspektiven entstanden, die den Blick auf etwas anderes richten ließen. 


Ich bin innerhalb der Schulzeit 19 mal umgezogen (die Urlaube sind nicht mit eingerechnet, das wäre ja nicht mehr zu zählen ;) 

Ein Aufwand, der sicher nicht immer sehr angenehm war, aber mir Erfahrungen geschenkt hat, die wohl kaum einer erhält. 

Ich habe gelernt, was ich wichtig finde und was Luxus ist. Was ich wirklich will und was eher unwichtig ist. 

Ich kann sagen, dass ich ein ganzes Stück mehr zu mir selbst gefunden habe und offener und belastbarer geworden bin. 

Ich habe Erkenntnisse gesammelt, auf die ich bauen kann und die mich prägen werden. 

Es geht ein Jahr zu Ende, in dem ich Argentinien kennenlernen durfte. Ich habe mich hier in die Natur verliebt - ich kann manchmal immer noch nicht fassen, wie vielfältig dieses Land ist. Auch konnte ich alle Nachbarländer ein wenig bereisen.


Als ich Bolivien betrat, merkte ich, dass dieses Land nochmal eine ganz andere Struktur hatte, als Argentinien. Als ich Bolivien betrat, verglich ich es automatisch mit Argentinien und wusste: „Argentinien ist voll europäisch!“

So hatte ich bis dahin Argentinien nie gesehen. Ich hatte es immer mit Deutschland verglichen, doch seit dem ich in Bolivien war, weiß ich, dass Argentinien viele gute Seiten hat, die ich manchmal außer acht lasse. Bolivien hat mir gezeigt: „Ein Land hat mindestens so viele Perspektiven, wie es Augenpaare betrachten.“ So formulierten Helene und ich es zusammen, als wir in Montevideo in einem Café saßen. 

Ich reiste durch die atemberaubend schöne Natur - mit meiner Familie und mit Freiwilligen, die zu Freunden geworden sind. 

Immer mehr fand ich mich in den Alltag ein. Ich verstand immer mehr, lernte von Tag zu Tag dazu und musste auch an Deutschland und die Menschen dort denken. Vor allem in der ersten Zeit gab es hin und wieder mal richtig schlechte Tage, wo ich das Gefühl hatte, bei jeder Kleinigkeit in Tränen ausbrechen zu müssen. Das hat sich allerdings nach ein paar Wochen gelegt. Immer mehr fand ich mich in die Struktur ein und wurde immer selbstsicherer. 

Die Kinder in der Schule kamen zu mir gerannt, wenn sie mich sahen, umarmten mich und so manches mal bekam ich auch ein Küsschen auf die Wange. 

Je mehr es Richtung Ende ging, um so größer wurde meine Energie. Ich freute mich auf den Schulalltag und gab dort alles. 


Über Gastfamilien und vor allem Loana erfuhr ich immer mehr über Dinge im Land, die die Menschen betrafen. 

Am Anfang war das große Thema: Santiago Maldonado. Hinzu kam die Themen Impfen, Schulsysteme, Politik, Mapuche und vieles mehr. 


Ich lernte die Lehrer kennen und ihre Ausstrahlung zu schätzen. Manche gingen und neue kamen hinzu. In den Konferenzen konnte ich erfahren, wie es hinter dem alltäglichen Schulleben aussah. 

Ich beantwortete viele Fragen zu Deutschland und meiner Familie. Umgekehrt schenke ich euch durch meine Berichte und Fotos etwas aus Argentinien. Eine verantwortungsvolle Aufgabe. 



Die letzten zwei Wochen brachen mit einem neuen Umzug in eine letzte Gastfamilie an. Ich zog zu den Eltern Marcelo und Malena mit den Kindern Francesca (9) und Oliverio (5). Ich bezog mein eigenes Zimmer und fühlte mich direkt wohl. Die Familie ist super nett und das Haus ist eine ganz besondere Konstruktion. Es ist praktisch rund mit einer großen Dachluke und drum herum sind all die Zimmer angeordnet. 

Vier Tage lang funktionierte dann das Wasser nicht mehr. Doch das Problem kannte ich ja schon. Doch diesmal ließ es mich kalt. Na und? Dann duschte ich eben mal vier Tage nicht. 

Die Dusche dann am vierten Tag, war ganz wunderbar und es fühlte sich toll an.


Die letzte Zeit, habe ich mit Franziska geschrieben. Franziska wird ab dem 14. August meine Arbeit übernehmen. Sie ist also meine Nachfolgerin und ich werde sie am Montag (13.08.) noch einarbeiten, worauf ich mich ganz besonders freue. 


Noch vor drei Wochen konnte ich mir nicht vorstellen, wieder nach Hause zu fliegen, doch die Tatsache, dass ich nun fast täglich von Mitfreiwilligen Bilder sehe, wie sie wieder gut in Deutschland ankommen, lässt auch in mir Freude hochkommen. 

Die Melancholie scheint sich gerade verkrochen zu haben. In diesem Moment freue ich mich auf die bekannten Gesichter, die mich in Deutschland erwarten. 


Am Donnerstag ist die letzte Lehrerkonferenz für mich, wo ich meine Abschiedskarten verteilen werde. Für jeden Lehrer habe ich mit Aquarell eine andere Blume gemalt und einen kleinen Abschiedsgruß geschrieben. Die Blumen habe ich nach der Farbe ausgewählt, die für mich zu dem jeweiligen Lehrer am besten passt. 

Am Sonntag werde ich Franziska begrüßen. Am Montag ist mein letzter Arbeitstag. Und nachmittags werde ich nach Bariloche fahren, um dann am nächsten Tag in den Flieger nach Deutschland zu steigen. Ich werde euch berichten, was in den letzten Tagen noch passieren wird.


In Deutschland werde ich ziemlich zügig, zumindest übergangsweise, nach Witten ziehen. Ich habe mich dort am Waldorf Institut Witten/Annen für ein Studium zum Klassenlehrer mit Zusatzfach Natur- und Umweltpädagogik beworben. 

Noch bin ich nicht angenommen, jedoch wurde ich zur „Bauzeit“ eingeladen. 

Ende August habe ich dann mein Aufnahmegespräch und erfahre, ob es klappen wird. 


Ende September findet das Rückkehrerseminar statt. Hier werde ich alle wieder treffen - aus Argentinien, Chile und Uruguay, aber auch all diejenigen, die noch beim Vorbereitungsseminar dabei waren. 


Im Oktober findet das letzte Seminar der Freunde statt - das Engagement Kolleg. Ich habe mich hier für ein Seminar entschieden, in dem Workshops und Kunsttheater angeboten werden. In diesem Seminar werde ich Freiwillige aus aller Welt treffen. 


Ich habe begonnen ein Buch zu schreiben. Über das, was ich hier in Argentinien erlebt habe. Ich möchte vor allem die Blogeinträge, die vielen Fotos und noch weitere Themen, die mich in diesem Jahr beschäftigt haben, sortiert aufschreiben und so etwas schaffen, das man in den Händen halten kann und das auch Menschen lesen können, die keinen Internetzugang haben. 

Ich hoffe, es wird zu Weihnachten fertig. Dann, wenn der Freiwilligendienst mit dem letzten Seminar abgeschlossen ist. 


Nun schicke ich euch eine dicke Umarmung über den Atlantik und freue mich, euch schon bald wiederzusehen!


Eure Alva


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Kommentare: 2
  • #1

    Siggi Ritz (Mittwoch, 08 August 2018 23:38)

    Liebe Alva,
    Schön, dass du den Mut hattest nach Argentinien zu gehen! Soviele Eindrücke, neue Erfahrungen und Perspektiven bekommt man in so kurzer Zeit kaum einmal. Danke für die ausführlichen und gut geschriebenen Blogs...so dass wir ein bisschen an deinem intensiven Jahr teilhaben konnten. Und nun freue ich mich sehr auf das Wiedersehen!
    Siggi

  • #2

    Maria (Mittwoch, 15 August 2018 10:13)

    Liebe Alva, ich hoffe, dass Du gut in Hamburg angekommen bist oder gerade ankommst. Auch habe immer sehr gerne Deinen Blog verfolgt und bin ganz beeindruckt, wie eindrücklich Du Deine Erlebnisse schildern konntest. Auf ein schönes neues Jahr!

    Einen dicken Kuss, Maria