Abschied

Samstag, der 03. März 2018 bis Samstag, der 31. März 2018


Als Helene und ich uns nach langer Zeit in El Chaltén mit meinem Vater trafen, rückte Helene mit einer neuen Nachricht raus. Der Kindergarten, in dem sie ihren Freiwilligendienst absolvierte, würde für 2018 pausieren, sodass für sie kaum noch Arbeit bleiben würde. Auf ihrer Reise im Norden hatte Sarah, eine Freiwillige aus Buenos Aires, angeboten in ihrer Einsatzstelle nachzufragen, ob für Helene dort noch ein Platz wäre. Es klappte. Helene würde also schon in kurzer Zeit von Esquel nach Buenos Aires umziehen. Bevor dies stattfinden würde, verbrachten wir zusammen noch ganze vier Wochenenden und machten Dinge, die wir unbedingt noch umsetzen wollten.

Am 03.03. und 04.03. wohnte ich noch in der Schule. Helene kam ein letztes Mal nach El Bolsón und zusammen fuhren wir an den Lago Puelo, den sie noch nicht gesehen hatte. Wir genossen die Sonnenstrahlen auf unseren Gesichtern und kochten leckeres Essen. Auch gingen wir noch einmal Kaffee trinken im La Jauja und besuchten die Feria. 


Das Wochenende darauf fuhr ich nach Esquel. Der Samstag versprach ein sonniger Tag zu werden. Schon von Beginn an hatten wir uns vorgenommen den „Hausberg“, Cerro La Cruz, von Esquel zu besteigen. Es schien die letzte gute Chance an diesem Tag zu sein, obwohl wir uns beide nicht so ganz topfit fühlten. Wir gingen vom Kindergarten aus los und kamen nach ungefähr 45 Minuten beim Anstieg an. Wir waren uns wirklich nicht sicher, ob wir jetzt da hoch gehen , oder uns doch gemütlich in ein Café setzen sollten. Da wir aber  nun einmal schon am Schild standen, das den Weg zeigte, beschlossen wir nach oben zu gehen. Der Weg führte durch die ärmere Gegend von Esquel, doch die Leute grüßten sehr freundlich. Das erste Stück war das steilste, dann ging es gemächlich im Zickzack immer weiter nach oben. Wir hatten eine tolle Aussicht auf Esquel und als wir fast oben am Gipfel standen, konnten wir sogar den Kindergarten von hier aus betrachten. 

Als wir oben am Gipfelkreuz standen, wehte ein heftiger Wind in unsere Gesichter, doch das machte nichts. Wir waren so glücklich, es geschafft zu haben und aßen hungrig ein gutes Bauernbrot aus El Bolsón. Die Bäckerei hatte mir Kaspar damals gezeigt, doch ich war irgendwie nie mehr dort hingegangen. Ich erinnerte mich, dass es dort gutes Brot geben sollte und ging mit Helene am vorherigen Wochenende dort hin. Und wahrhaftig, das Brot war mindestens genauso gut, wie deutsches Brot.

Da saßen wir nun auf dem Gipfel und konnten in die Weite schauen. 

Den Sonntag verbrachten wir ganz nach argentinischer Art: „tranquilo“. 


Das Wochenende darauf fuhr ich nochmal nach Esquel. Wir quatschten ohne Ende und ließen es uns richtig gut gehen. Ich entdeckte, wie trocken meine Füße waren. Am Abend machten wir ein Fußbad und lasen uns die Geschichte „Konrad aus der Konservendose“ vor. Wir kicherten ausgelassen, als wir uns vorstellten, was wohl jemand sagen würde, der uns so sehen könnte... 

Sonntag fühlten wir uns beide nicht so richtig gut. Es schien, als würde sich eine Erkältung anbahnen. 

Und tatsächlich, am nächsten Tag in El Bolsón, zog ich mit etwas Schnupfen zu Zoe. Doch der Schnupfen verschwand zum Glück wieder recht schnell.


Eineinhalb Wochen darauf stand ein langes Wochenende an. Ostern. Vor ein paar Tagen waren Helenes Eltern angekommen. Mittwoch Abend, es war der 28.03., fuhr ich mit unfassbarer Verspätung nach Esquel. Zwei Stunden zu spät kam ich gegen 22:00 Uhr an und wurde von Helene und ihrem Vater Wolfgang begrüßt. Kurz darauf betraten wir die Cabaña, die sich die drei gemietet hatten und ich lernte auch Helenes Mutter Christiane kennen. Ich fand beide sehr sympathisch und hatte ein sehr gutes Gefühl. Ich bekam einen Linseneintopf, der sehr gut tat. 

Der Donnerstag war ein sehr besonderer Tag. Nicole, bei der ich schon einmal mit Helene bei einem deutschen Weihnachtsessen war, nahm uns alle vier mit auf den Campo. Bevor es los ging, durften wir uns nochmal ihr Grundstück ansehen. Sie zeigte uns, wie das Wasser zu ihrem Haus kam. Sie erzählte, dass damals ihr Mann mit einem Haselzweig über das Grundstück gelaufen sei. Plötzlich habe sich über einer Stelle der Zweig abgesengt und sie wussten, dass es hier ein Wasservorkommen gibt. Ein ca. 20m tiefes Loch wurde gebohrt und eine Pumpe eingesetzt. Das Wasser wurde über mehrere Schläuche in einen Wassertank umgeleitet und gereinigt. Von dort aus führte der Schlauch zum Haus. Damit all dies im Winter nicht einfror, waren die Verbindungen entweder eingegraben oder isoliert. 


In Nicoles Auto fuhren wir zu fünft nach Trevellin, dem Nachbarort von Esquel. Wir bogen links ab und fuhren einen langen Weg auf einer nicht asphaltierten Straßen. Wir hatten Säcke und Eimer eingepackt, denn heute wollten wir Früchte ernten. Die Straße entlang pflückten wir an zwei Apfelbäumen jede Menge Äpfel. Dann ging es immer weiter ins nirgendwo. Nicole erzählte von ihrem Geologiestudium und von der Debatte „No a la mina“, die ein großes Thema in Esquel ist und immer wieder zu Demonstrationen führt. 

Wir fuhren immer weiter raus ins nichts. Um uns herum war alles trocken. In der Ferne weideten Rinderherden und die Sonne strahlte auf das sich fortbewegende Auto hinab. Wir kamen an Vulkangestein vorbei und fuhren nun etwas nach oben. Nicole hielt an und ließ uns aussteigen. „Hört die Stille“, sagte sie. „Genießt die Ruhe“. Tatsächlich, man hörte nichts. Nicht einmal der Wind wehte, der sonst immer in Esquel zu finden war. Es war unglaublich, so ganz allein im nirgendwo zu sein. Es ging weiter. Von weitem konnten wir schließlich eine grüne Oase erkennen, über der ein großes Anwesen thronte. Man kann an dieser Stelle wirklich von einer Oase sprechen, da das Land drum herum total trocken war. Wenige kleine Häuser standen dort zusätzlich. Genau dieser Ort war unser Ziel. Wolfgang spielte bei jedem neuen Tor den Toröffner und mit jedem Tor, wurde es schöner. Ein Bach floss neben der Straße entlang und überall dort,  wo Wasser war, wuchsen die grünsten Bäume und kleine Pflanzen. Blumen blühten und Schafe querten den Weg. Schließlich hielten wir vor einem größeren Haus. Zwei Hunde kamen uns bellend entgegen und eine ältere Frau trat in geblümter Schürze heraus, um uns zu begrüßen. Gertrud war ihr Name. Ihr Mann Winfried war der Bruder des Chefs dieses Campos. Das Anwesen vom Chef thronte weiter oben. Die Familie kommt aus Deutschland und so fühlte ich mich direkt sehr wohl, als Gertrud uns ihr Haus mit einem schwäbischen Dialekt einlud. Das Haus war sehr komfortabel und hatte typisch deutsche Eigenschaften. Zum Beispiel der lange Tisch mit der Eckbank, die Türen und die Einrichtung. Ein alter Herd, der noch mit Feuer funktionierte, war ein echter Blickfang. Er kam aus Chile. Außerdem hatte Gertrud ein paar winzige Küken in einem Käfig in der Kühe stehen, die hier etwas Wärme abbekamen. Das Herzstück war jedoch der Garten! Es war ein großer Selbstversorgergarten, der wunderschön angelegt war. Es gab so ziemlich alles, was das Herz begehrte und wir durften uns hier austoben. Wir pflückten hauptsächlich Holunderbeeren und Äpfel. Außerdem waren Himbeeren, Pflaumen, Pfirsiche, Karotten und Tomaten dabei. Helene und ich gingen am Schluss noch einmal zusammen durch den Garten und schauten uns alles genau an. Der Lavendel blühte, die Bienenkästen standen in der wärmenden Sonne und die Bienen flogen ein und aus. Jede Menge Kräuter und Ringelblumen wuchsen hier. Es war ein richtig toller Anblick.

Nach getaner Arbeit, setzten wir uns an auf die große Eckbank und bekamen selbst gemachten Kräutertee, selbst gebackenes Brot, selbst gekochte Himbeermarmelade, eigenen Honig der Bienen und etwas Kuchen. Wir unterhielten uns über die Geschichte von Gertrud, über eine Freundin, die in diesem Haus bis zum Ende gepflegt worden und letztendlich gestorben war, über heilende Kräfte der Pflanzen und über vieles, vieles mehr. Es war wahnsinnig spannend den Geschichten zu lauschen...

Am Ende packte Gertrud noch einen selbst gebrannten Kirschlikör aus und dann stießen wir alle an. 

Am Ende verabschiedeten wir uns von unserer „Bilderbuchoma“, wie wir sie heimlich im Auto genannt haben. Sie sah so schön in ihrem Haus vor dem Garten aus. Die grauen Haare zu einem Dutt gebunden, der Rock und das Tshirt mit der geblümten Schürze darüber und der zottelige Hund neben ihr, der uns vergnügt nach bellte. 


Am Freitag bestiegen wir zu viert noch einmal den Cerro La Cruz. Da standen wir ein zweites Mal oben. Nachdem wir unsere Apfelüberreste etwas weiter nach unten geworfen hatten, entdeckten wir kurz darauf einen Fuchs, der sich an dem Essen vergnügte! Na sowas! 

Als wir fast wieder unten war, ging in Esquel die Sirene los. Kurze Zeit später kam uns ein Feuerwehrauto entgegen. Dann entdeckten wir den Rauch. Hinter dem Cerro La Cruz musste der Wald in Brand geraten sein! Meter hoch stieg der dunkle Rauch über dem Gipfelkreuz in den Himmel. Etwas später flogen immer wieder in Abständen Löschhubschrauber zum brennenden Abhang. Wir konnten das Feuer nicht sehen, aber es war schon etwas komisch, dass wir so kurz vorher so nah dran gewesen waren. 

Am Abend gingen wir essen. Helene und ich zogen uns Kleider an und flochten uns Frisuren. Zu viert verbrachten wir unseren letzten Abend in Esquel. Er war wunderschön...


Samstag brachte Helene ihre Eltern und mich zum Busterminal. Hier verabschiedeten Helene und ich uns. Ihre Eltern würde Helene noch einmal in Buenos Aires zwei Tage später sehen. Wir würden uns das nächste mal im Juli in Buenos Aires sehen und bis dahin standen uns neue Erfahrungen und Abenteuer bevor. Wir freuten uns schon jetzt auf ein Wiedersehen und konnten zu diesem Zeitpunkt unsere gemeinsame Zeit in Patagonien zufrieden abschließen. Wir hatten all das gemacht, was uns so wichtig gewesen war. Wir hatten neue Orte erkundet, Berge bestiegen und hatten an den schönsten Orten der Welt gemeinsame Zeit verbracht. Es ist in so kurzer Zeit eine unglaublich gute Freundschaft entstanden, die unsere Zeit in Argentinien bereichert hat. Es ist ein Abschied nur für kurze Zeit und deswegen ist es auch nur halb so schlimm. 


 Ich fuhr mit Wolfgang und Christiane bis nach El Bolsón und verabschiedete mich dort von ihnen. Ich hatte einen kleinen Eindruck von Helenes Familie bekommen, was ich sehr wertschätze. 


Jemanden in echt zu sehen, ist eben immer etwas anderes, als auf dem Foto...


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